Ludwig Tiecks Novelle Des Lebens Überfluß wurde 1839 im Taschenbuch Urania veröffentlicht, das Manuskript ist in der Vitrine zu sehen. Der Autor schrieb an seinen Verleger, dass er den Text für eines seiner „gelungensten Werkchen“ hielt.
Im Zentrum steht das romantische Thema schlechthin: Ein junges Liebespaar verschanzt sich gegen den Rest der Welt. Im 18. Jahrhundert hatte sich allmählich ein neues Verständnis der Beziehung zwischen Mann und Frau entwickelt: Die Ehe wurde nicht länger als ein nüchternes Vertragsverhältnis begriffen, sondern als Herzensbindung zweier Menschen. Die Frühromantik radikalisierte diese Auffassung, indem sie beide Geschlechter als gleichrangig ansah. So entstand die moderne Vorstellung von der ‚romantischen’ Liebe: Liebende dürfen sich über alle Regeln hinwegsetzen, da sie füreinander bestimmt sind.
In Tiecks Novelle sehen sich der bürgerliche Heinrich und die adelige Clara durch den Unterschied ihres Standes getrennt. Sie brennen durch, heiraten heimlich und ziehen in eine kleine Dachwohnung, wo sie sich von der Außenwelt abschotten. Da sie von Eltern und Polizei gesucht werden, können sie ihren Zufluchtsort nicht mehr verlassen. Sie leiden unter Hunger, nur eine alte Amme versorgt sie mit dem Nötigsten. Um nicht zu erfrieren, nutzt Heinrich die Treppe zu ihrer Wohnung als Brennholz, sie wird von unten nach oben verheizt.
Mit viel Ironie lässt Tieck verschiedene Sichtweisen auf die Realität zusammentreffen: Was dem pragmatischen Vermieter eine solide Treppe ist, das ist dem verträumten Heinrich nur eine „Leiter für Emporkömmlinge“ oder eine „Eselsbrücke für langweilige Besuche“.
Einerseits agiert Tieck in seinem Werk ganz im Sinne der Frühromantik: Permanent lässt er das Paar seine Armut romantisieren, da sich die beiden mithilfe ihrer Fantasie in ein wahres Paradies hineinträumen. Andererseits gewährt der Autor auch realistischen Elementen Einlass in seine Novelle, so dass die Probleme des Alltags deutlich werden, z. B. Polizeiverfolgung, Hunger und Revolutionsangst. Auch die harte Realität des Buchmarktes seiner Zeit spricht Tieck an: Wenn sich Heinrich im Traum als Autor selbst versteigern lässt, dann wird der Warencharakter der Literatur unübersehbar.
Die für eine Novelle typische überraschende Wendung führt ein kostbares Buch herbei: Heinrichs geliebte Erstausgabe der Werke Geoffrey Chaucers, die er verkaufen musste, gelangt per Zufall in die Hände seines Freundes Andreas. Der bringt nicht nur das Buch, sondern auch ein großes Vermögen zu seinem Freund zurück. Das Paar ist gerettet und der Roman endet mit dem Satz: „Beide sannen nach über den Inhalt des menschlichen Lebens, dessen Bedürfnis, Überfluß und Geheimnis. – –“
Ausschnitt aus dem Liebesgespräch des 2. Aufzugs. Waltraud Meier (Sopran), Siegfried Jerusalem (Tenor). Berliner Philharmoniker, Leitung: Daniel Barenboim. Teldec 1995
Manuskript. 83 Blätter (166 paginierte Seiten), in Lagen geheftet. Vereinzelt Korrekturen von Tiecks Hand.