Morgen und Abend, Tag und Nacht nannte Philipp Otto Runge seine vier Zeichnungen. Die Gegenstücke habe er „wie eine Symphonie“ bearbeitet. 1805 wurde der Zyklus in einer Auflage von 25 Exemplaren gedruckt. Eines davon besaß Bettine von Arnim. Eine zweite, bedeutend höhere Auflage erschien 1807. Die Zeiten erregten Aufsehen und wurden vielfach diskutiert.
Philipp Otto Runge, geboren 1777 in der Ostseestadt Wolgast, vertiefte neben seiner Kaufmannslehre in Hamburg auch seine klassische Bildung und lernte Ideen der Frühromantik kennen. Anknüpfend an seinen frühen Zeichenunterricht setzte er seine Ausbildung ab 1799 an der Kunstakademie in Kopenhagen fort. 1801 kam es zu einem Treffen mit dem Maler Caspar David Friedrich in Greifswald. Die beiden Künstler sahen sich in Dresden wieder, wo Runge bis 1804 lebte. Im November 1801 begann er eine enge Freundschaft mit Ludwig Tieck, der ein tiefes Verständnis für die Neuartigkeit von Runges Kunst hatte. Besonders die Zeiten beeindruckten ihn sehr.
Jedes der vier Blätter besteht aus einem Hauptbild mit Rahmung und zeigt eine Landschaft, in der Pflanzen und Kinderfiguren dominieren. Den Morgen kennzeichnet eine zum Venusstern aufsteigende Lilie, den Abend eine Frau mit ausgebreitetem Sternenumhang, den Tag eine Laube mit einer Frauengestalt und Kindern, und die Nacht eine weibliche Gestalt in einem Mohnblüten-Fächer. Hatte Runge bei seinen Zeichnungen, die von Ornamentformen wie der Arabeske inspiriert wurden, zunächst nur an „Zimmerverzierungen“ gedacht, so weitete sich sein Plan zur Idee eines romantischen Gesamtkunstwerks. Ihm schwebte eine „abstrakte malerische phantastisch-musikalische Dichtung mit Chören, eine Komposition für alle drei Künste zusammen“ vor. Dazu sollten die zunächst gezeichneten, dann gedruckten Zeiten gemalt werden und schließlich als großformatige Wandbilder einen eigens für sie geschaffenen Raum schmücken. Hier sollten auch Texte und Musik zu hören sein. Beim Besuch des Meißner Doms fiel Runge dazu „ein Gebäude für meine Bilder recht wieder ein“. Mit einer harmonischen Vereinigung von Farbe und Licht, Architektur, Poesie und Musik hätte sich dem Publikum das Erlebnis eines universalen Kunstwerks geboten. Der frühe Tod des Künstlers 1810 verhinderte die Fortsetzung des revolutionären Projektes, doch die Ideen Philipp Otto Runges sind bis heute aktuell.