Autorinnen der Romantik

Aufgedeckt!

Ludwig Tiecks Der blonde Eckbert von 1797 gilt als eines der ersten romantischen Kunstmärchen. Einige Impulse erhält Tieck aus den beliebten Volksmärchen der Deutschen von Musäus, die in dieser Schublade liegen. Eine andere Inspirationsquelle ist ein anonym herausgegebener Nachfolgeband namens Neue Volksmärchen der Deutschen. Er stammt von der fast vergessenen Autorin Benedikte Naubert.

Tiecks Der blonde Eckbert knüpft mit hoher Wahrscheinlichkeit an Nauberts 5 Jahre älteres Märchen Die weiße Frau an. Hier ist die Hauptfigur nämlich die blonde Bertha. Sie beschäftigt sich mit der Geschichte ihrer Vorfahrin, die ebenfalls Bertha heißt und als Gespenst auf einem einsamen Waldschloss spukt. An der tragischen Geschichte der spukenden Bertha scheint sich Tiecks Blonder Eckbert stark orientiert zu haben. Bei Naubert klagt das Gespenst:

O Gott! Ich hätte noch vielleicht glücklich sein können, hätte ich den klösterlichen Eigensinn, den ich mir in der Einsamkeit angewöhnt hatte, abzulegen vermocht. Mein Gemahl war liebenswürdig, warum liebte ich ihn nicht? […] Er verließ mich und liebte andre. Ich zürnte, zürnte so unversöhnlich, daß, als er wiederkehrte, als er zu meinen Füßen um Vergebung flehte, ich ihn stolz verließ, und Zuflucht in den Armen meines Bruders suchte. O Gott! Richter zwischen ihm und mir! Wie wirst du richten?

In Nauberts Die weiße Frau herrscht ebenso viel Wahnsinn, Einsamkeit und Inzucht wie später in Tiecks Blondem Eckbert. Beide Geschichten erzählen von den Schicksalen junger Frauen, die aufgrund ihrer Emanzipation in die Waldeinsamkeit verstoßen wurden. Nauberts Kunstmärchen zeigt, dass die Romantik auch von anonymen Autorinnen geprägt wurde, die schon früh mit Spannung, Schauerelementen und alten Traditionen experimentierten.