Warum soll der Mensch anders sein, als er ist?
In der fünften und letzten Vitrine geht es um die literarische Vermittlung in der Romantik. Bekanntlich war die Romantik das Zeitalter der Sympoesie und Symphilosophie, also eines Denkens und Schreibens, das dialogisch in gemeinsamer Arbeit mit Gleichgesinnten entsteht und auf diese Weise innovativ und unkontrollierbar bleibt.
Darin ist Günderrode keine Ausnahmeerscheinung. Zwei Sonette über Adonis aus der Sammlung Melete wurden vermutlich nicht von Günderrode selber, sondern von ihrem Geliebten Friedrich Creuzer geschrieben. Günderrode war auf männliche Vermittler zur Veröffentlichung ihrer Werke angewiesen, die stets unter Pseudonym erschienen, wie es für viele weibliche und einige männliche Autoren zu dieser Zeit üblich war. Bei Günderrode waren es mehrere Männer, die diese Rolle übernahmen: zunächst Christian Nees von Esenbeck für die Gedichte und Phantasien und die Poetischen Fragmente, dann Friedrich Creuzer für Melete. Christian Nees von Esenbeck rezensierte Günderrodes Gedichte und Phantasien sogar für die Jenaische Allgemeine Literatur-Zeitung und schickte ihr ausführliche Ratschläge zur Konzeption und zum Aufbau ihres Mahomed-Dramas.
Auf der linken Seite sehen Sie einen Brief von Nees von Esenbeck an Günderrode aus dem Jahr 1804. Das Thema ist hier Günderrodes Mahomed-Drama, und Nees von Esenbeck geht auf ein dramaturgisches Problem ein: Wie kann ein Prophet wie Mahomed, der alles voraussieht, Hauptfigur eines Dramas sein? Wird dabei nicht die dramatische Spannung vollständig vorweggenommen? Nees von Esenbeck steht Günderrodes Mahomed-Drama eher skeptisch gegenüber: Er schreibt:
Die Handlung eines jeden Drama aber ist notwendig eine endliche, und wenn in der Tragödie das ewige Schicksal erscheint, so erscheint es zugleich in der Beschränkheit einer, wenigstens supponierten Beziehung auf einen endlichen Zweck. Kann nun ein Prophet Subjekt eines wahren Drama seyn? Ich glaube nicht.
Bezeichnend für Günderrodes literarische Ambition ist aber, dass sie fremden Rat nicht immer annimmt, so auch hier.
Auch wenn Günderrode auf die Hilfe und Vermittlung von männlichen Bekannten angewiesen war, konnte sie sich als (eigenständige) Dichterin behaupten. Auch war sie gut vernetzt, und ihre Beziehungen zu den literarischen Zirkeln in Frankfurt und Heidelberg waren durchaus wechselseitig.
Im Jahre 1806 wendet sich Clemens Brentano an sie und bittet um Hilfe bei der Suche nach Gedichten für den zweiten Band der Liedersammlung Des Knaben Wunderhorn, den er gemeinsam mit Achim von Arnim herausgibt:
Arnim läst sie grüssen, und fragt sie nebst mir, ob sie uns gar nichts für den zweiten Band der Volkslieder verschaffen können, durch ihre Freunde.