Romantik-Ausstellung

Warum soll der Mensch anders sein, als er ist?

In der dritten Vitrine habe ich Zeugnisse zu Günderrodes literarischem Schaffen zusammengestellt.

Im Vergleich zu anderen Dichterinnen um 1800, etwa Therese Huber, Dorothea Schlegel und Sophie Mereau, liegt das Besondere an Günderrode darin, dass sie darauf verzichtete, Romane zu schreiben. Das zeugt von ihrer geistigen und literarischen Ambition. Den größten Teil ihres Werkes machen Dramen aus. Sie galten als die höchstgeschätzte literarische Gattung um 1800, die traditionell den Männern vorbehalten war.

Das erste Stück in der Vitrine ist allerdings ein satirisches Epos. Es ist Günderrodes Frühwerk zuzurechnen, wenn man bei einer Autorin, die nur sieben Jahre lang literarisch tätig war, überhaupt von einem Frühwerk sprechen kann. Die Handschrift entstand 1798, im ersten Jahr, das Günderrode im Cronstetten-Stift verbrachte. Da war sie 18 Jahre alt. Sie ist Teil eines Versepos mit dem Titel Geschichte der schönen Göttin und edlen Nympfe Kallipso. Es ist in hessisch gefärbten Knittelversen geschrieben und geht laut dem Titel auf Homer, faktisch aber auf den Librettisten Emanuel Schikaneder zurück. Als einziges Werk enthält es von Günderrode selbst angefertigte Zeichnungen.

Zu sehen ist hier Mentor, der Lehrer von Telemach, der von der trauernden Nymphe Kalypso vertrieben wird. Ich zitiere:

Sie bükt sich nimt Stein und Sand,
In ihre weiche Götterhand,
Wirft sie nach Mentors Kopf,
Doch sie verfehlt den guten Tropf.
Dieser springt zu Telemach ins Schiff,
Dies bringt ihn durch Fels und Riff,
In das edle Itaker Land,
Wo sich schon Ulisses befand.

Der Ton hier ist also pathetisch und zugleich komisch.

Das zweite Stück in der Vitrine ist die Handschrift des apokalyptischen Fragments. Es entstand nach 1802 und erschien 1804 in Günderrodes erster Buchpublikation Gedichte und Phantasien. Das apokalyptische Fragment ist einer der bekanntesten Texte Günderrodes und wirkt fast wie lyrische Prosa. Dargestellt wird eine Art von innerer Landschaft. Das lyrische Ich versucht, folgende Frage zu beantworten: In welchem Verhältnis steht der Mensch zur Natur? Das Fragment bringt den philosophischen Kerngedanken in Günderrodes Werk zum Ausdruck – und zwar im Duktus der Offenbarung des Johannes im Neuen Testament. Die Offenbarung besagt: Der Mensch gehört der Natur an und die Natur ist alles, was existiert, ist also die Schöpfung. Gleichzeitig ist die Natur auch die Schöpferin selber und die schöpferische Kraft, aus der alles hervorgeht. Die Handschrift ist keine Reinschrift, und gerade deswegen interessant. Erst später wurde die Nummerierung der einzelnen Abschnitte eingefügt, sodass das Fragment einer Reihe von Bibelversen ähnelt.

Günderrode ist heute vor allem als Lyrikerin bekannt. Im Rahmen dieser Ausstellung wird ein bislang unbekanntes Sonett von Günderrode präsentiert, das von einem Mitarbeiter des Freien Deutschen Hochstifts, Dr. Holger Schwinn, in der Martinus-Bibliothek in Mainz aufgefunden wurde. Das Buch, das Sie hier als drittes Stück in der Vitrine sehen, stammt aus dem Besitz von Friedrich Schlosser. Schlosser war Jurist und ihm ist es auch zu verdanken, dass die Druckbogen von Günderrodes letzter Sammlung Melete überliefert sind, die Sie in der Wandvitrine sehen. Schlossers Sommersitz in Stift Neuburg, in der Nähe von Heidelberg, wurde im frühen 19. Jahrhundert zum Treffpunkt für die Romantiker wie Friedrich Schlegel und die Brentanos, auch mit Goethe war Schlosser freundschaftlich verbunden.

Das hier ausgestellte Buch zeugt von Schlossers Sammeltätigkeit. Es enthält neben handschriftlichen Abschriften von Günderrodes Gedichten auch einen eingeklebten Druck von einem Drama Günderrodes. Am Ende des Buches ist die Handschrift eines Sonetts eingeheftet, das offenbar an Günderrodes Freund Friedrich Creuzer gerichtet ist, mit dem sie 1806 an ihrem letzten Werk arbeitete. Es trägt den Titel Zueignung. Creuzer wird hier als „Silenos“ angesprochen. In der griechischen Mythologie war Silenos der Lehrer des Weingottes Dionysos, dem sich Creuzer besonders verbunden fühlte. Die ersten vier Verse des Sonetts lauten:

Silenos ruht in stillen Wiesengründen,
Dem Gotte nur gesellt ihr treuer Bund;
Sein Blick umkreis’t der weiten Erde Rund,
Doch nirgens soll ein Sterblicher ihn finden; 

Die Thematik entspricht den gemeinsamen klassizistischen Interessen Günderrodes und Creuzers. Das ganze Gedicht können Sie auf dem Transkriptionsboard lesen.