Romantik-Ausstellung

Warum soll der Mensch anders sein, als er ist?

Die erste Vitrine trägt den Titel „Jugend und Familie“.

Karoline von Günderrode wurde 1780 in Karlsruhe als ältestes Kind einer Patrizierfamilie geboren, einer bedeutenden Familie der Alten-Limpurger Ganerbschaft (das war ein Zusammenschluss von Patrizierfamilien in der freien Reichsstadt Frankfurt).

Karolines Vater Hektor von Günderrode war Kammerrat und Regierungsrat am Hof des Markgrafen in Karlsruhe und, wie sein Vater, ein gebildeter Jurist. Nach dem frühen Tod ihres Mannes im Jahr 1786 zog die Mutter, Louise von Günderrode, mit ihren sechs Kindern nach Hanau. Drei von Karolines insgesamt vier Schwestern starben im jugendlichen Alter.

Dass Karoline von Günderrode in ihre Familie gut eingebunden war, macht der erste der hier ausgestellten Briefe deutlich. Er muss nach 1797 entstanden sein und zeigt die Handschriften ihrer Mutter Louise und ihrer Schwestern Wilhelmine und Amalie. Während die Mutter eher sachlich von gesellschaftlichen Ereignissen, Krankheiten und Todesfällen in der Familie berichtet, ist der Ton der beiden jüngeren Schwestern spielerisch. Sie machen der älteren Schwester scheinbar empört den Vorwurf, sie zu vernachlässigen. So schreibt Wilhelmine (Sie sehen die Klammer am linken Rand):

Liebe, böse Line!
Ich bin dir fast böse, weil du so gottlos faul bist; Du weist nicht wie sehr einem nach einem Brief von lieber Hand sehnt?

Und die zwei Jahre jüngere Amalie fügt hinzu:

In dem Lustgefühl worinn du wahrscheinlich schwebst, denkst du nicht an deine arme Schwester; aber sie denkt an dich; sie erfreut dich mit der Nachricht daß dein längst gesuchter Werther sich plötzlich ganz ungesucht gefunden hat.

Auf diese Weise erfahren wir nebenbei, dass Goethes Werther, der 1787 in einer überarbeiteten Fassung erschienen war, für Karoline von Günderrode offenbar große Bedeutung hatte.

Wir kommen nun zum zweiten Brief. 1797 trat Günderrode in das lutherische Cronstetten-Hynspergische Damenstift ein, das Unterkunft für unverheiratete Frauen der Alten-Limpurger Ganerbschaft anbot, weil es zu dieser Zeit mehr junge Frauen als Männer in der Ganerbschaft gab. Das Stiftsgebäude befand sich hier um Ecke am Roßmarkt. Im Damenstift führte Günderrode durchaus kein einsames Leben. Zu ihrer Zeit waren die einst strengen Regeln des Damenstifts lockerer geworden, was Theaterbesuche und Aufenthalte bei Familienangehörigen und Freunden ermöglichte. Wie der Brief hier verrät, war die Großmutter mütterlicherseits, Luise, allerdings besorgt um die Ehre Günderrodes, die durch das nächtliche Herumlaufen in der Stadt gefährdet sei. Ihre Ehre sei eng verknüpft mit der Ehre der Familie.. Ich zitiere:

ich Zweifle garnicht, daß du Liebes medge, dein Betragen so ein richten Würst. daß du uns alle Ehre magst, und dir hierin die Gröste. […] Daß Nächtliche Laufen bringt keine Ehre; weil sich als dann: hier und da, Etwas anseckelt; wo durch ich nichts gewinne [...] Ach Gott Regire dich mit dem heiligen Geist; werde und Sey eine recht Schaffne Christin, […]

Ehre, Tugend, Rechtschaffenheit – die von der Großmutter erwähnten Werte weisen eindeutig auf die lutherische Frömmigkeit der Familie Günderrode hin.

Im dritten Brief, entstanden im Jahr 1801, werden wir Zeugen eines Streits mit dem Vermögensverwalter Hoim, der für den Besitz der verwitweten Mutter zuständig war. In diesem Fall vertrat die einundzwanzigjährige Karoline von Günderrode die Interessen ihrer Schwestern – gegen die der eigenen Mutter. Das Verhältnis der Geschwister zur Mutter war um 1800 etwas abgekühlt. Die Unterstellung des Herrn von Hoim jedoch, dass eine Bekannte der Günderrodes, Sophie Blum, sich eingemischt hätte, weist Karoline von Günderrode nachdrücklich zurück. Sie schreibt:

Sofie hat uns nie von unserer Mutter zu entfernen gesucht, welches wir nur allein wissen können,[sie hat] bei uns immer mit Liebe und Achtung von ihr gesprochen.