Autorinnen der Romantik

Aufgedeckt!

Obwohl Sophie Tieck eine ungemein produktive Autorin war, ist sie heute fast vollständig in Vergessenheit geraten. Sie war überzeugt, „das[s] man gegen das weibliche Geschlecht ungerecht handelt“. Ihre Literatur interessierte sie sich vor allem für das Verhältnis der Geschlechter, die Möglichkeiten und Grenzen weiblichen Handelns und für ein neues Konzept von romantischer Liebe.

In ihrer Erzählung Männertreue von 1795 geht es um die süße Rache der jungen Sophie an ihrem Verlobten Karl: Dieser hat seiner Verlobten zu vollmundig die Treue geschworen und sie dann bei der ersten Gelegenheit fast gebrochen. Doch er ahnte nicht, dass ihm Sophie eine Falle stellte. Sie beauftragte eine Verführerin, um Karl eine Lektion zu erteilen. Auf den ersten Blick wirkt Männertreue wie eine lustspielartige Erzählung der Aufklärung. Allerdings dreht sie konventionelle Geschlechterrollen um. Denn in der Aufklärung galt die Frau oft als das emotionale und der Mann als das rationale Wesen. In Tiecks Erzählung spricht aber gerade Sophie durchweg vernünftig, während ihr Verlobter Karl nur gefühlvoll auftritt:

Sophie führte die Gründe für ihre Meinungen an, er setzte ihr die feurigsten Deklamationen entgegen.

So hat das Schlusswort auch nicht der übertölpelte Mann, sondern die bedachte Frau. Sie setzt die Forderung nach Treue ins Verhältnis zur Unbeherrschbarkeit menschlichen Empfindens – und benennt die Liebe als höchste Macht:

Versprecht Treue in Rücksicht auf eure Handlungen. Empfindungen kann kein Mensch geloben; über diese ist er nicht Herr. Aber dann, wenn er durch diese Empfindungen sich zu unrechtmäßigen Handlungen verleiten läßt, […] dann kann nur die Liebe […] das Verdammungsurteil zerreißen.