Aufgedeckt!
Das skurrile Märchen Das Leben der Hochgräfin Gritta von Rattenzuhausbeiuns stammt aus der Feder der gerade mal 16-jährigen Gisela von Arnim. Es geht um die junge Heldin Gritta, die auf dem Schloss ihres Vaters von fürsorglichen Ratten aufgezogen wird. Mit sieben Jahren schickt man sie in ein unheimliches Kloster. Sie flieht, gelangt auf ein Schiff und hört dort vom Bootsmann Thoms viele fantastische Geschichten. Er erzählt z.B. von der Entdeckung einer geheimnisvollen Insel. Hier versammelten sich die Schatten von allem, was jemals auf der Welt existiert hatte. Als ein Schatten in antikem Gewand sich in Thoms verliebte, wurde es gefährlich:
Denkt euch meinen Schrecken, der Gewänderschatten wollte mich hier behalten, da sich seine Seele unwiderstehlich zu mir hingerissen fühle; er habe […] schon mit einigen starken Schlagschatten gesprochen […], daß sie mich erschlagen und mein Schatten […] für ewig bei ihm verweile.
Mit dem Schattenmotiv knüpft Gisela von Arnim an die Romantik an. Denn der Schatten steht für die düsteren Seiten des Menschen und die dunklen Seiten der Wirklichkeit, für die sich die Romantik besonders interessierte. Aber die junge Autorin bleibt hier nicht stehen. Entsprechend wird auch im Märchen die Schatteninsel verlassen. Gritta gelangt letztlich auf die Insel Sumbonia, auf der alle ihre Freunde wieder zusammenfinden.
Regiert wird Sumbonia von Kindern, die in der Romantik als Idealtypus des Menschen galten. Dieses perfekte Happy End steht im Kontrast zu zahlreichen Missständen, die zuvor im Märchen angeprangert werden: die Vernachlässigung von Gritta, die Unterdrückung durch Kirche und Staat, die Ausbeutung der Schwachen. Die Inselutopie wird durch ihre übertrieben kitschige Darstellung als unrealistisch ausgewiesen. Das Märchen präsentiert sich damit als eine gesellschaftskritische Erzählung. Unsere Tour endet so mit einer engagierten Autorin, die zwar romantische Motive aufnimmt, sich aber dann von ihnen verabschiedet.