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An D. Veit 28. August 1795 S. 2
An D. Veit 28. August 1795 S. 3

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„Ich hab in meinem vorigen Brief gesagt, daß ich zu gut wüßte was bey manchen Gelegenheiten, im Menschen vorgehen könnte, um daß ich mich je zieren würde, aber ich hab es so gesagt, daß Sie mich mißverstehen müßen. Ich meine es in der Art: daß ich nie etwas übell deute oder nähme, weil es andere thun, und man es bey der Gelegenheit zu thun pflegt, oder sich hier efarouchiren müßte; sondern ich sey gewöhnt alles zu

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untersuchen, was in mir vorgeht, wie es wohl bei andern kann gegangen seyn, was ich von ihnen wahrnehme; und wie ich das wiederum, am besten nehmen könnte. Wie könnt ich also wild aufflattern, wo die Rede unter vernünftigen Menschen ist, und von vernünftigen Dingen, und gerade mit meinem eignen Flüchten das einzige Geräusch[,] den einzigen Sturm erregen, der hier möglich ist. Sie sind anders wie ich. Was ist denn nun da? Ist es nicht genug, daß wir in so vielen Dingen gleich denken, uns immer schnell berichtigen können; sollen sie noch gleich in uns vorgehen? das geht nicht; wie gesagt die Ordnung wäre zu groß, und dann schiens als wäre die Welt darum da. Und so sehe ich auch den Grund dieser Unmöglichkeit zu gut, zu deutlich ein als, daß sie mich mehr aufbringen sollte: im Gegentheil, ich hab uns von je her für zu verschieden gemacht gefunden als, daß ich unsere jetzige Ubereinstimmung nur hätte hoffen dürfen, denn mir scheint’s doch, als gingen die Dinge in uns ganz anders, sehr verschieden, wonicht umgekehrt übereinander. Die Resultate werden oft gleich das Ende. Daher dünkt mich ist unsre Freundschaft ein wahrer Triumph – der einzig genießbare für mich – das Produkt zweyer vereinigt vernünftigen Wesen, die, sie mögen weichen und wandeln, sich unbezweifelt bey der Wahrheit wiedertreffen, wohin sie immer kehren, die sie immer im Ernste suchen. Untersuchen Sie einmal die eklatanteste Liebe – was man so nennt – was ist denn die? Augenblickliches Uebereinstimmen – meistens bey einer Irrung gegründet, fortgesetzt, besiegelt, u verschwunden – was sie denn für recht himmlisch halten, u mit Wuth fest [eingefügt: halten] je weniger Grund sie wider

 

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die Unzuverläßigkeit desselben aufzufinden ahnden. Nicht daß ich die Liebe von dem ganzen Wahrheitsboden weg zu raisonniren dächte! (Gott behüte ich bin einer der größten Sklaven und Anhänger des himmlischen Kindes) nein sie findet nur bei gewißen Freundschaften – ich habe kein ander Wort – nicht Statt, und mit denen zusammen, ist sie zwar die größte Idee für Menschen u ihre Verhältnisse; hingegen ist sie mir bis jetzt auch nur als solche begegnet. Ich komme mir recht vor wie ein irrer Mensch; dem man seine Tollheit ausreden will, man schwatzt schwatzt, man beweist, er versteht, giebt recht, und beweist zu letzt, wieder daraus, seine eigne Behauptung. So bin ich auch; denn eben wollt’ ich Sie fragen, hab’ ich nun nicht recht, daß ich liebe wo ich kann oder muß, und meine Freunde wieder besonders betreibe? Kurz. Was liebt man? das Schöne u Gute. Wo liebt man’s? wo man’s findet. Wann liebt man’s? wenn man’s findet. Also seitenweise, seitenweise: wie uns die ganze Welt erscheint; Mein Fehler ist es nicht; es mag ein Zusammenhang in ihr seyn, uns erscheint aber auch nicht das rechte. Und daß mir diese Wahrheit als der einzige erscheint den ich finden kann, macht, daß ich nicht kann. Und nun ist die Tollheit aus. Nun streiten Sie noch einmal von vorne. Sagen Sie einmal lieber V. ist Ihnen wohl schon ein ungebildeter Mensch in meiner Art vorgekommen? mir noch nicht. Andern die etwas nicht wißen, denen ist auch diese Unbewißenheit unbekannt; und die ganze Sache die es betrifft: bey mir aber ganz anders; ich kenne die Unwißenheit, die Sache, mich, die Mittel und bleibe doch wie ich war.“